Ich freue mich riesig über die Sichtbarkeit für die Geburtsfotografie und mein Interview in der Stuttgarter Zeitung. Wer in den Beitrag vom 20.2.2022 rein lesen möchte, hier folgt der Text von Sandra Markert.
Geburt vor der Kamera
Wenn man Babyalben aufschlägt, blickt einen auf den ersten Seiten meist ein kleines Wesen entgegen, sauber, niedlich angezogen, friedlich. Manchmal finden sich davor noch ein paar Fotos der hochschwangeren Mutter. Aber die Geburt? Wird allenfalls in Textform festgehalten. Dauer, Wochentag, Wetter, solche Dinge.
„Die meisten Menschen in Deutschland haben keine Bilder im Kopf, wie es bei einer Geburt zugeht, bevor sie selbst ihr erstes Kind zur Welt bringen“, sagt Marcia Friese, 34 Jahre. Als sie mit ihrer ersten Tochter – heute Grundschulkind – schwanger war, ging ihr das genauso. „Ich hatte große Angst vor der Geburt. Und wenn ich Angst habe, versuche ich mir möglichst viele Infos über das Thema zu beschaffen. Also wollte ich auch Bilder sehen, von dem, was da auf mich zukommt.“
Keine anatomischen Beckenmodelle, wie sie gern in Geburtsvorbereitungskursen gezeigt werden. Sondern echte Fotos und Videos von Wehen, Schreien und Blut. Fündig wurde Friese auf Internetseiten amerikanischer Geburtsfotografen. „Dort ist es ganz normal, solche authentischen Familienbilder zu machen“, sagt Marcia Friese, selbst Fotografin.
Bei ihrer zweiten Geburt drückte dann ihre Hebamme im entscheidenden Moment ab, als Frieses Tochter ihr Köpfchen in Richtung Außenwelt bewegte. „Das war nicht abgesprochen, meine Kamera lag herum. Ich habe die Bilder erst viel später zufällig entdeckt und war total ermächtigt.“ Das zu sehen, was einer Mutter bei der Geburt normalerweise vorenthalten bleibt, hat tiefen Eindruck bei Marcia Friese hinterlassen. Das allererste Familienfoto mitten aus dem Leben gegriffen, nicht gestellt, beschönigt, klinisch rein. Sondern schmierig, emotionsgeladen, ergreifend. „Solche dokumentarischen Familienbilder vom Beginn des Lebens wollte ich auch machen“, sagt Marcia Friese.
Seit fünf Jahren ist Friese deshalb nun als Geburtsfotografin unterwegs. Zunächst in Berlin, inzwischen rund um Freiburg und Basel. Paare, die den Weg zu ihr finden, kommen häufig aus Kulturen, in denen Fotos von der Geburt schon lange selbstverständlich sind – aus Brasilien beispielsweise oder aus den USA. Andere setzten sich sehr ausführlich mit der Geburt auseinander, wie etwa Hebammen. Wieder andere haben bei der ersten Geburt ein Trauma erlebt, beispielsweise weil es zu einem Notkaiserschnitt kam. „Damit sie die körperliche Geburt nicht wieder verpassen, wollen sie sich diese jetzt festhalten lassen“, sagt Marcia Friese.
Auch Gesa Gebhardt,31, ging es darum, den Moment der Geburt für sich zu dokumentieren und zu konservieren. „Es war schon vor der Geburt klar, dass ich meinen Sohn allein großziehen würde. Es gab keinen Partner, mit dem man sich später gemeinsam an die Geburt erinnert, sich davon immer wieder erzählen kann. Deshalb wollte ich wenigstens die Fotos haben“, sagt Gesa Gebhardt. Inzwischen hat sie die Bilder schon mehreren schwangeren Freundinnen gezeigt, die gern sehen wollten, was bei der Geburt so auf sie zukommt. „Es hat vielen die Angst genommen, weil die Bilder kein blutiges, unattraktives Gemetzel zeigen, sondern die Schönheit einer Geburt.“
Wenn Marcia Friese wie von Gesa Gebhardt den Auftrag erhält, eine Geburt zu fotografieren, dann ist sie zwei Wochen vor und nach dem errechneten Geburtstermin Tag und Nacht in Rufbereitschaft. Das bedeutet auch: keine weiten Ausflüge machen, keinen Alkohol trinken, keine anderen fixen Fototermine wie Hochzeiten oder Taufen annehmen. Denn wenn die Kunden anrufen, dann muss sie jederzeit los können. So, wie eine Hebamme.
Mit denen teilt sie sich bisweilen im Kreissaal oder bei Hausgeburten daheim durchaus auch die Arbeit. „Professionelle Distanz wahren bei einer Geburt, das geht einfach nicht.“, sagt Marcia Friese. Also hält sie schon mal Händchen oder massiert Rücken. Und sie versucht genau die Stimmungen aufzunehmen, wann sie die Kamera einsetzen kann und wann sie diese besser eine Weile bei Seite legt.
Auch wenn Marcia Friese schon mal mehrere Geburten innerhalb einer Woche fotografiert hat: weinen musste sie bislang noch bei jeder. „Es gibt diesen Moment, wenn die Eltern, unendlich erschöpft, ihr Baby anschauen und begreifen, dass sie jetzt wirklich Eltern sind. Das ist so ergreifend, da fließen mir jedes Mal die Tränen.“
Dieser Moment ist auch der, den sie am liebsten mag auf den Fotos von den Geburten. Weil er so ruhig ist, so innig und einmalig. Festhalten tut sie aber alles: Von den ersten Wehen, bis zum ersten Saugen des Babys. „Ich zeige auch Mütter in Netzschlüpfern und wie die Milch aus der Brust schießen kann. Mein Wunsch ist es, das jeder schon mal solche Momente gesehen hat, bevor er sie zum ersten Mal selbst erlebt. Denn dann weiß man: Ah, das ist normal, was da passiert.“
Marcia Friese versteht ihre Arbeit als „emotionale Bildung“. Sie will mit ihren Bildern auch Ängste abbauen – ein Widerspruch, wenn man die schmerzverzerrten Gesichter auf ihren Fotos sieht? Keineswegs, findet sie. Schmerzen bei einer Geburt seien schließlich etwas Gutes – denn sie bringen das Baby auf die Welt.
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